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Sexismus im Stall: Reiterin wehrt sich gegen Übergriffe

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Ob anzügliche Sprüche im Stall oder sexualisierte Kommentare im Netz: Leider ist das eine Erfahrung, die schon viele Reiter – und vor allem Reiterinnen – machen mussten. Spätestens seit der #MeToo-Bewegung kämpfen Reiterinnen um Gleichberechtigung in einer Sportart, die sich lange Zeit als buchstäblicher Vorreiter auf diesem Gebiet gegeben hat.

Reiten ist die einzige olympische Sportart, bei der Männer und Frauen direkt gegeneinander antreten. Eine gleichberechtigter Sport also? Dieses Image fängt spätestens an zu bröckeln, seit in den vergangenen Jahren immer mehr Reiterinnen auf Sexismus und sexuelle Übergriffe im Reitsport aufmerksam machen.

#MeToo im Sattel

Eine der ersten, die die Missstände öffentlich anprangerte, war Michelle Payne. Als erste Frau hat sie 2015 als Jockey den Melbourne Cup gewonnen. Und diesen Triumph nutzte sie, um ihrem Ärger Luft zu machen: „Der Pferderennsport ist so ein chauvinistischer Sport. Viele Besitzer wollten mich am liebsten vom Pferd kicken, weil sie denken, Frauen seien nicht gut genug. Weil sie denken, wir hätten nicht genug Kraft“, zitiert sie die „NZZ am Sonntag“. „Es gehört verdammt viel mehr zum Reiten, als einfach nur stark zu sein. Das ist kompletter Bullshit.“

Ein Jahr später kam es zu einer Welle der Empörung in den USA, als mehrere Missbrauchsfälle durch den längst verstorbenen und extrem erfolgreichen Springtrainer Jimmy Williams bekannt wurden.

Während seiner Zeit als Ausbilder hat er immer wieder teils minderjährige Schülerinnen gegen ihren Willen geküsst, begrabscht, genötigt und missbraucht. „Der Reittrainer, der Olympioniken geprägt und dabei eine Spur von Kindesmissbrauch hinterlassen hat” titelte die „New York Times“ über Williams.

Und fasst damit das Machtgefüge zusammen, dass die sexuelle Gewalt in vielen Fällen ermöglicht: Wer von den Besten lernen will, wer Angst hat, ein geliebtes Pferd oder Karriere-Chancen zu verlieren, bleibt still.

Ein Teufelskreis, der auch in anderen Bereichen und Sportarten dazu führt, dass Trainer, Chefs, Priester ihre Macht missbrauchen können – und dabei lange Zeit unbestraft bleiben.

Sexismus ist auch im Reitsport in Deutschland präsent

Sexismus und sexuelle Gewalt im Reitsport passieren auch in Deutschland Auch hierzulande gelangen immer wieder Fälle in die Schlagzeilen, die besorgniserregend sind. Vor einigen Jahren wurde zum Beispiel ein Reitlehrer aus Schleswig-Holstein zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt – er hatte eine 13-jährige Reitschülerin in insgesamt 18 Fällen missbraucht.

Eigentlich ist es kein Wunder, dass auch unter Pferdemenschen schwarze Schafe sind. Dass es dort dieselben Probleme von strukturellem Sexismus gibt wie in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft.

Aber im Gegensatz zu manchen anderen Sportarten gibt es auf den Reithöfen besonders viele Mädchen und Frauen: Der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge machen sie 76 Prozent der Mitglieder in Reitvereinen aus. In den großen Turnierställen überwiege der Anteil der Pferdepflegerinnen.

Viele Mädchen fangen jung mit dem Reiten an und werden so möglicherweise in den unsicheren, schutzbedürftigen Phasen der Kindheit und Pubertät mit unangenehmen Sprüchen und Situationen konfrontiert. Und das nicht nur innerhalb des Reiterkosmos, sondern auch von außen.

Reiterin kämpft gegen sexistische Kommentare auf Instagram

Dass der Sexismus im Reitsport in den vergangenen Jahren immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist, liegt auch an mutigen Reiterinnen wie Lisa Marie Kreutz. Mit dem Hashtag „#uyvequestrians“ fordert sie auf Instagram andere Reiterinnen und Reiter dazu auf, ihre Stimme gegen sexistische Kommentare im Netz zu erheben. Denn genau dafür steht der UYV: Use Your Voice – Benutze Deine Stimme.

2019 hat Lisa Marie die Aktion ins Leben gerufen, um sich gegen anzügliche Kommentare zu wehren, die sie und viele andere Reiterinnen bekommen. Private Nachrichten wie „Reite doch mal auf mir“, will sie nicht mehr hinnehmen.

„Enge Hosen sind kein Freifahrtsschein“

„Wir betreiben die einzige olympische Sportart, in der Männer und Frauen gleichberechtigt gegeneinander antreten… Aus diesen und vielen anderen Gründen können wir stolz sein, Reitsportler zu sein. Wir und auch unsere Pferde verdienen genauso viel Respekt, wie Athleten anderer Sportarten auch“, schreibt Lisa Marie unter dem Post.

Nur weil Reiter enge Hosen tragen und das Becken beim Reiten bestimmte Bewegungen ausführt, sei das kein Freifahrtschein für eine Sexualisierung des Sportes, findet Lisa Marie Kreutz. „Ich war einfach wütend.“ Sie übe einen Sport aus, der ihr unglaublich viel abverlange. Sie möchte also auch als Sportlerin gesehen werden, als Athletin – und nicht als Sexobjekt.

Verbände und Vereine bieten Anlaufstellen für Betroffene

„Mutmaßliche Betroffene sexualisierter Gewalt können sich selbstverständlich persönlich an uns wenden“, betont eine Sprecherin der Deutschen Reiterlichen Vereinigung FN auf Anfrage. „Dies kommt hochgerechnet bis zu zehnmal im Jahr vor. Die Anrufer möchten oft anonym bleiben und bitten um Beratung, wie sie weiter vorgehen können. Wir geben ihnen dann Tipps und Empfehlungen.“

Der Verein „Zartbitter e.V.“ ist eine weitere Anlaufstelle für Jugendliche in Bedrängnis. Dieser weist auf ein wichtiges Problem hin: Demnach ereigneten sich die meisten bekannten Fälle in privatwirtschaftlich betriebenen Reitställen, die nicht Mitglied in der Reiterlichen Vereinigung sind. Und: Die meisten Beschuldigten hätten keine Trainerlizenz. In diesen Fällen habe die FN keine Sanktionsmöglichkeit.

Der „Zartbitter e.V.“ fordert deshalb gesetzliche Regelungen: Auch private Angebote sollten Auflagen erfüllen müssen, die den Schutz von Kinder und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt sicherstellen. Zusätzlich sei eine vom Bund finanzierte Beschwerdestelle dringend nötig.

Wer wie Lisa Marie Kreutz vor allem online sexuelle belästigt wird, kann sich ebenfalls wehren. Ein erster Schritt wäre, die Nachrichten direkt bei Instagram zu melden. Rechtsanwältin Julia Hartwig gibt gegenüber dem „MDR“ den Tipp, dass es einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch gibt. Außerdem kann ein Straftatbestand der Beleidigung erfasst werden. „Das geht auch, wenn Sie unaufgeforderte Bilder bekommen, die einen sexuellen Hintergrund haben.“

Sprich über Deine Erfahrungen

Das Beispiel von Lisa Marie Kreutz zeigt: Reden hilft! Für Betroffene ist es wichtig, sich auszutauschen. Zu wissen, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht alleine sind. Ob Du Deine Geschichte mit Hashtag und Post auf Instagram teilst oder nicht – vertraue Dich zumindest Deinen Eltern, Freunden oder Vertrauenspersonen im Stall an.

-- Link-Tipps zum Thema --
» Belästigungen im Reitsport: Wie Reiterinnen gegen Sexismus kämpfen
» Website des Vereins „Zartbitter e.V.“
» Hilfetelefon Sexueller Missbrauch des Vereins „N.I.N.A“: 0800 22 55 530

-- Mehr vom Gesprächspartner --
» Lisa Marie Kreutz bei Instagram
» Der Podcast „Inklusive Pferd“

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